Liberaler Stammtisch mit Prof. Dr. Jan Claas Behrends

Für unseren Juni-Stammtisch konnte unsere Kreisvorstandsvorsitzende Linda Teuteberg den Historiker Jan Claas Behrends gewinnen, der u.a. zur Zeitgeschichte Osteuropas forscht; derzeit am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam und an der Viadrina in Frankfurt/Oder. Professor Behrends studierte auch an der Lomonossow-Universität in Moskau und kennt Länder wie Russland, der Ukraine, Polen und dem Baltikum aus eigener Anschauung. Nach seiner Wahrnehmung war erst seit etwa 2014 eine zunehmende Eigenständigkeit der Ukraine gegenüber Russland bemerkbar: „Die Ukraine stand vorher im Schatten von Moskau“. 1918 erstmals unabhängig durch den Friedensvertrag von Brest-Litowsk, sei die Ukraine wenig später von den Bolschewiki zu einer Sowjetrepublik gemacht worden und habe eine jahrzehntelange, schwerste Leidenszeit von 1905 bis 1950 hinter sich. Erst die Unabhängigkeitserklärung vom 05.12.1991 habe ihr wieder zur Souveränität verholfen und habe Historikern zufolge den „Todesstoß für die Sowjetunion“ dargestellt. Anders als Russland und viele ehemalige Sowjetrepubliken habe es nach 1991 in der Ukraine freie Wahlen gegeben, habe sie sich insbesondere seit 2014 dem Westen zugewandt, ähnlich den baltischen Ländern. Es sollte nicht vergessen werden, so Behrends, dass die Ukraine in den 1990-er-Jahren die drittgrößte Atomnation der Welt gewesen sei, bis sie 1995 entnuklearisiert wurde. Das stelle für die Ukrainer gerade jetzt den Sinn einer Abrüstung so schmerzhaft infrage. Der Einmarsch Putins habe die Ukraine paradoxerweise in ihrer Selbstwahrnehmung gestärkt: Freiwillig hätten sich Tausende zur Armee gemeldet – anders als zur russischen Armee. Verlöre Russland in der öffentlichen Wahrnehmung den Krieg, sei die Position Putins unsicher: Allen bisherigen Revolutionen in Russland, 1905, 1917 und 1989, seien verlorene Kriege vorausgegangen: Die Niederlage im Krimkrieg, mehrere erfolglose russischen Offensiven im 1. Weltkrieg und der Afghanistankrieg. Viele Fragen des interessierten Publikums rundeten den Vortrag ab, der mit dem Statement schloss: „Die früheren Putin-Versteher sind die neuen Putin-Fürchter.“ Genug Anlass zum Nachdenken.